Ein Zeitungsartikel über Dr. Tarau
von Kathy Stolzenbach aus der Kölner Anzeiger
Ein Vertrauensverältnis zum Arzt macht die Behandlung leichter
Ein Vertrauensverältnis zum Arzt macht die Behandlung leichter
Sabine Martens lacht nicht gern. Sie hat Angst, jemand könnte ihre Zahnlücken sehen. Also lächelt sie nur leicht oder hält ihre Hand vor den Mund. Wenn Sabine Martens (Name geändert) zum Essen verabredet ist, fühlt sie sich unwohl. Die 33-Jährige fürchtet, ihr Gegenüber könnte sehen, dass ihr mehrere Backenzähne fehlen. Deshalb nimmt sie nur sehr wenig auf die Gabel, um den Mund nicht so weit öffnen zu müssen.
Martens hat Angst vor dem Zahnarzt. Sie ist damit nicht allein: Laut der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde verbinden 60 bis 80 Prozent der Deutschen ein Angstgefühl mit dem Zahnarztbesuch. Bei Sabine Martens war diese Angst so stark ausgeprägt, dass sie den Besuch gemieden hat, bis sie die Schmerzen nicht mehr aushalten konnte. Mehr als zehn Jahre ist sie gar nicht zum Zahnarzt gegangen. Martens leidet unter Zahnbehandlungsphobie-so wie fünf bis zeh Prozent der Deutschen.
Schlechte Zahnhygiene
„Ich hatte schon als Kind schlechte Zähne, weil es bei uns immer nur Säfte, Limo und Kakao zu trinken gab“, sagt Martens: Auf die Zahnhygiene hätten ihre Eltern nicht geachtet. „Morgens haben meine Geschwister und ich schon die Zähne geputzt. Aber manchmal hatten wir auch keine Lust, haben uns im Bad eingeschlossen und nur so getan.“ Abendliches Zähneputzen hat Martens erst kennen gelernt, als sie bei einer Schulfreundin übernachtet hat. An die Zahnarztbesuche erinnert sich die Pädagogin noch heute mit einem Schaudern. „Ich hatte immer in einem Zahn ein Loch. Das Bohren tat weh und das Geräusch war schrecklich.“ Wenn wieder ein Besuch beim Zahnarzt anstand, versteckte sie sich und bewegte sich nur unter Drohungen der Mutter in die Praxis. Dort presste sie die Lippen aufeinander. Zwei Helferinnen hielten sie fest und öffneten gewaltsam ihren Mund. Martens schüttelt den Kopf: “ Da ist es doch kein Wunder, dass ein Kind Angst vom Zahnarzt bekommt.“
Die Kölner Zahnärztin Andrea Tarau hat sich auf Patienten wie Sabine Maratens spezialisiert. In ihrer Praxis bietet sie Sprechstunden für Angstpatienten an. Am Institut für Psychosomatische Zahnmedizin in Achern hat sie sich für die Behandlung von Angstpatienten schulen lassen und eine Ausbildung bei der Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Hypnose absolviert.
Die beste Erfahrung bei Angstpatienten hat sie mit dem sogennanten Anti-Angt-Training gemacht. Dabei nähern sich Arzt und Patient über Gespräche an. „Der Patient muss wissen, dass er die Kontrolle hat und über die Behandlung bestimmt. Er entscheidet, wann er bereit ist, vom Wartezimmer in den Unresuchugsraum zu gehen und sich auf den Behandlungsstul zu setzten.
“ Beim Erstkontakt gehe es vor allem darum, dem Patienten seine Scham zu nehmen. Ich versuche ihm zu vermitteln: Es ist mein Beruf, Ihnen zu helfen“
Sich die Angst einzugestehen, einen Termin zu vereinbaren und tatsächlich wahrzunehmen- das sei laut Dr. Tarau schon ein riesiger Schritt. „Häufig führe ich beim ersten Termin nur ein Gespräch oder fertige Röntgenbilder an, um einen ersten Befund aufzunehmen. „Dr. Tarau macht immer wieder die Erfahrung, dass die Patienten den Zustand ihrer Zähne weitaus schlimmer einschätzen als es der Realität entspricht. „Mit den Röntgenbilder kann ich Ihnen dann ein Stück ihrer Angst vor der weiteren Behadlung nehmen.“
Auch bei Sabine Martens war der Befund schließlich nicht so dramatisch wie sie erwartet hatte. Doch bis es soweit war, vergingen viele Jahre. Mit dem Ende der Grundschulzeit endeten für Sabine Martens auch die Besuche des Schulzahnarztes. Über die Jahre fraß sich die Karies immer tiefer in ihre Zähne. ,,Manchmal lag ich nachts wach und konnte vor Schmerzen nicht schlafen“, sagt die 33-Jährige. Immer hatte sie Schmerztabletten dabei. Mehrmals brachen ihr beim Zähneputzen oder Essen Stücke aus den Backenzähnen ab. ,,In meinem Mund waren richtige braune Krater.“ Martens traute sich nicht, mit jemandem über ihre Ängste zu reden. Zu groß war die Scham. Permanent kaute sie Kaugummi und vermied beim Sprechen die Nähe zu ihrem Gegenüber. Erst als sie ihren Partner kennenlernte, wuchs in ihr der Wunsch nach gesunden Zähnene.
Im Internet informierte sie sich über die Angst vor dem Zahnarzt. ,,Ich war total überrascht, dass so viele betroffen sind. Ich dacht ich wäre die Einzige.“ Monatelang bereitete Martens sich auf den Zahnarztbesuch vor. Als es soweit war, schaffte sie es nur mit Beruhigungstabletten in die Praxis.
,,Am schlimmsten war es für mich, den Mund zu öffnen. Ich habe mich so geschämt. Ich war überzeugt davon, dass ich ein Gebiss brauche, weil meine Zähne so kaputt waren“
Schließlich mussten drei Backenzähne gezogen und in vielen Sitzungen etliche Füllungen gelegt werden.
Martens war überrascht, dass sie dank Betäbungsspritzen von den Behandlungen kaum etwas spürte. Mit der Ärztin hat sie vereinbart, bei Schmerzen die linke Hand zu heben, oder wenn sie die Behandlung abbrechen möchte. Die zerstörten Zähne ließ sie sich in Vollnarkose ziehen.
Ein Psychiater bescheinigte ihre Phobie, so das die Krankenkasse die Kosten für den Anästhesisten übernahm. Nach mehreren Wochen war ihr gebiss,,runderneuert“, wie Martens sagt.
Dr. Andera Tarau hat viele solcher Patienten. Manche waren mehr als 20 Jahre nicht beim Zahnarzt. Auffällig sei, dass Frauen, die vergewaltigt worden sind, sehr häufig unter Zahnbehandlungsphobie leiden. ,,Der Mund ist ein intimer Bereich, in den Zahnarzt eindringt. Viele Patientinnen fühlen sich auf dem Behandlungssstuhl ausgeliefert.“ Bei diesen Patientinnen vor der Behandlung eine Psychotherapie nötig-,,das überschreitet meine Kompetenz“. Während der gesamten Behandlung bestimme der Patient über das, was passiert. ,,Ich übe keinen Druck aus“, sagt Dr. Tarau. Um die Angst dauerhaft zu überwinden, sei es wichtig, dass der Patient zu regelmäßigen Kontrollterminen in die Praxis kommt, damit sich das Vertrauen festigt.
Die Zahnärztin empfindet es als Bereicherung, Angstpatienten zu behandeln: ,,Es ist eine Freude, wie Patienten mit extremem Leidensdruck allmählich ihre Ängste abbauen und eine neue Lebensqualität gewinnen.“ Zweimal habe sie von Patienten gesagt bekommen:
,,Wenn ich Sie nicht gefunden hätte, wäre ich von einer Brücke gesprungen“
Auch heute noch geht Sabine Martens mit einem mulmigen Gefühl zum Zahnarzt, aber sie geht regelmäßig hin. Und sie achtet penibel auf ihre Mundhygiene. ,,Bald möchte ich die Lücken mit Kronen schließen lassen“, sagt die 33-Jährige. Denn sie möchte wieder ohne Scham lachen können.
von Kathy Stolzenbach aus der Kölner Anzeiger